1870 - 1914
Das Ambrossgut im Kaiserreich

Die Jahre nach 1870, im neu gegründeten deutschen Kaiserreich, waren vom Übergang Deutschlands zur Hochindustrialisierung gekennzeichnet. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beschäftigte die Industrie erstmals mehr Menschen als die Landwirtschaft. Das Deutsche Reich war zu einem Industriestaat geworden.
Die Landwirtschaft verschwand dadurch jedoch keineswegs in der Bedeutungslosigkeit, nur sah sie sich jetzt mit den neuen Herausforderungen der Ernährung einer teils explosionsartig wachsenden Bevölkerung konfrontiert. Die benötigten ständigen Produktivitätssteigerungen erzielte man vor allem durch Umsetzung neuer Erkenntnisse in der Pflanzen- und Tierernährung, der weiteren Vergrößerung der Viehbestände (mit Ausnahme der Schafe) und der Pflanzen- und Tierzucht. Die Leistungs- und Widerstandsfähigkeit der Pflanzenarten und Tierrassen nahm durch Neuzüchtungen oder Kreuzungen beständig zu.
Doch trotz aller Bemühungen und – bei ausgewählten Produkten – Verdopplung der Erzeugung reichte Deutschlands Eigenproduktion an Nahrungsmitteln schon bald nicht mehr aus, um seine Bevölkerung und Viehbestände zu ernähren; das Deutsche Reich war zum Nahrungs- und Futtermittelimporteur geworden. Im Ersten Weltkrieg sollte dies zu einem großen Problem werden. Mehr dazu im nächsten Kapitel.
Anbautechnisch änderte sich im Kaiserreich nicht sonderlich viel. Die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts parallel zur verbesserten Dreifelderwirtschaft von Experimentalökonomen entwickelte Fruchtwechselwirtschaft wurde zwar häufiger, keineswegs aber flächendeckend angewandt. Diese Wirtschaftsform sieht einen mehrjährigen Zyklus verschiedener aufeinander folgender Getreide-, Futterpflanzen- oder Gemüsearten vor und zielt auf einen möglichst optimalen Umgang mit dem Boden und den in ihm vorhandenen Nährstoffen ab, um eine Bodenerschöpfung zu verhindern. Dies war solange für wichtig gehalten worden, wie die Bauern vor dem 'Düngerproblem' standen. Wollte man mehr Dung produzieren, erforderte dies größere Viehweiden und -bestände, was wiederum zur Reduzierung der für die menschliche Ernährung benötigten Flächen führte. Andersherum musste die Ausdehnung letzterer Flächen zulasten der Viehhaltung und somit der Dungproduktion gehen. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte diese Herausforderung durch die zunehmende Bereitstellung von künstlichem bzw. betriebsfremdem Dünger definitiv gelöst werden. Eine komplizierte Fruchtfolgewirtschaft war nun meist nicht mehr vonnöten. Noch heute wird daher überwiegend die verbesserte Dreifelderwirtschaft praktiziert.
Die Verwendung von künstlichem Dünger stand bis in die 1870er Jahre hinein aber erst am Anfang, erreichte in jener Zeit also trotz Zunahme in den folgenden Jahrzehnten noch nicht einmal ansatzweise den Stellenwert wie nach 1945. Die landwirtschaftliche Produktion konnte zwar gesteigert werden, das Maximum war aber - wie die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt - noch lange nicht erreicht.
An Erfindungen neuer landwirtschaftlicher Maschinen oder Verbesserung bereits bekannter mangelte es in den Jahren ab 1870 (und auch schon davor) nicht, doch blieben die meisten Bauern im ersten Jahrzehnt nach der Reichsgründung beim Althergebrachten. Pflug, Egge, Walze und ab den 1850er Jahren der Kultivator blieben mit teils nur geringfügigen Modifikationen die bestimmenden Maschinen.
Eine nennenswerte und flächendeckend angewandte Verbesserung trat durch die Verdrängung der Sichel durch die Sense ein. Die Produktivität erhöhte sich um 35-65 Prozent, je nach Getreideart. Bereits 1602 hatte Tadeo Cavalini die Drillmaschine erfunden, die aber keine Verbreitung fand. Erst 1731 griff Jethro Tull diese Idee wieder auf und erfand sie 'neu'. Ein halbes Jahrhundert später verbesserte James Cook die Drillmaschine derart, dass sie noch heute nahezu unverändert im Einsatz ist. Ab 1851 war in Europa die 1831 vom Amerikaner McCormick konstruierte Mähmaschine zu erhalten.
Etwas Besonderes war der Dampfpflug, der sich in Deutschland allerdings nur zögerlich durchsetzte. Viele Bauern konnten oder wollten keine 30-35.000 Mark für diese Maschine ausgeben, zumal er nur auf großen und ebenen Flächen einsetzbar war. Darüber hinaus rentierte er sich auch nur, wenn er an möglichst vielen Tagen im Jahr eingesetzt werden konnte. Klimabedingt waren dies in England 180-200, in Deutschland dagegen nur 120. Er sollte daher nie eine solche Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft erlangen wie später Mähdrescher und Traktor. Ob das Ambrossgut über einen Dampfpflug verfügte, ließ sich zwar bisher nicht feststellen, darf aber mit einiger Sicherheit bezweifelt werden. Anzumerken bleibt, dass die Mechanisierung der landwirtschaftlichen Produktion im 19. Jahrhundert nicht überschätzt werden sollte. Deren große Zeit kam erst Verlauf des 20. Jahrhunderts.
Doch nun zum Ambrossgut. Aufgrund gesetzlicher Neuregelungen in den 1870er Jahren lassen sich bauliches und wirtschaftliches Geschehen auf dem Ambrossgut jener Zeit mit genauen Zahlen und Angaben nachvollziehen.
In einer Aufstellung des Gemeindeamtes zu Schönbrunn zum Besitz von Pferden und Rindern sind im Jahr 1889 bei Carl Gotthilf Hofmann, dem damaligen Besitzer des Ambrossgutes, 5 Pferde und 19 Rinder registriert. Er gehörte damit zur Spitzengruppe innerhalb der Schönbrunner Pferde- und Rinderbesitzer. Zehn Jahre später, 1899, hatte sich sein Bestand schon auf 27 Rinder erhöht. Bei den Pferden war ein Rückgang auf 3 zu verzeichnen, der allerdings nur von kurzer Dauer war. Bereits 1903 hatte Hofmann die Anzahl seiner Pferde auf 6 Stück wieder gesteigert. Vor allem in Bezug auf den Bestand an Rindern war das Ambrossgut damit eindeutig Teil der Gesamtentwicklung der deutschen Landwirtschaft, die zwischen 1873 und 1913 ihre Rinderbestände von 15,777 Mill. auf 20,994 Mill. Stück vermehrte. Bei Pferden war nur ein vergleichsweise kleiner Zuwachs von 3,352 Mill. (1873) auf 4,523 Mill. Stück (1913) zu verzeichnen, da Pferde hauptsächlich als Zug- und Reittiere, nicht aber zur Fleischproduktion genutzt wurden. Die Zahlen von durchschnittlich 25-30 Rindern und 4-6 Pferden auf dem Ambrossgut sollten - von einigen Ausnahmen nach oben und unten abgesehen - in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg konstant bleiben. Die Schweinehaltung nahm zu dieser Zeit dagegen noch eine untergeordnete Rolle auf dem Ambrossgut ein. Nur 5 Schweine waren 1904 registriert. Bis 1907 erhöhte sich ihre Zahl gerade einmal um 2 Tiere auf dann 7 Stück. Auch unter Hermann Gustav Flath, der das Gut 1909 für 50.000 Mark von Carl Gotthilf Hofmann gekauft hatte, blieb der Schweinebestand nahezu unverändert. 1912 lebten 5, im Jahr darauf 4 bzw. bei einer zweiten Zählung 7 und 1914 dann 6 Schweine auf dem Ambrossgut. Es war zu dieser Zeit also noch nicht oder nur marginal an der gewaltigen Ausdehnung des Schweinebestandes im Deutschen Reich zwischen 1873 und 1913 von 7,124 Mill. auf 25,659 Mill. Stück beteiligt. Darüber hinaus sind für 1907 noch 2 Ziegen und 36 Stück Federvieh sowie für 1912 ein Bestand von 1 Ziege und erneut 36 Stück Federvieh belegt.
Aufstellungen darüber, wie die pflanzliche Produktion des Ambrossgutes in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg beschaffen war, konnten bisher noch nicht ermittelt werden. Aber es lassen sich für 1905 entsprechende Aussagen über den gesamten Ort Schönbrunn treffen. Danach wurden von der 535 Hektar großen Gesamtfläche 250 Hektar zum Anbau von Hülsenfrüchten und Getreide genutzt. Diese verteilen sich wie folgt (Angaben in Hektar): Winterweizen 2, Sommerweizen 23, Winterroggen 65, Sommerroggen 28, Sommergerste 5, Hafer 110 und Wicken 17. Auf 67 Hektar wurden Hackfrüchte und Gemüse angebaut (Kartoffeln 50 Hektar, Runkelrüben zur Fütterung 2 Hektar, Kraut 15 Hektar). 164 Hektar waren Futterpflanzen vorbehalten (Klee auf 86 Hektar, Wiesen-Lieschgras/Timotheegras 75 Hektar, Erbsen sowie Wicken und Gemenge 3 Hektar). Insgesamt ergeben sich daraus 481 Hektar Acker- und Gartenland. Die restlichen 54 Hektar wurden als Wiesen genutzt. Da dies eine Momentaufnahme nur eines Jahrganges ist, kann momentan keine Aussage über die Verortung der Schönbrunner Landwirtschaft innerhalb der Entwicklung der deutschen Landwirtschaft getroffen werden.
Was gab es in dieser Zeit, den Jahren von 1870 bis 1914, an baulichen Veränderungen auf dem Ambrossgut? Wie bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet, entstanden im 19. Jahrhundert mehrere Scheunen auf dem Ambrossgut. So berichtet eine Quelle von einem Scheunenbau 1889. Es kann vermutet werden, dass es sich dabei um Scheune 2 (heute befindet sich dort der Hofladen) handelt. Im darauf folgenden Jahr, 1890, brannte diese Scheune jedoch nieder und musste wiederaufgebaut werden. 1893 folgte auf der linken Seite, in Richtung Scheune 2, ein Stallanbau an das Wohnstallhaus. 1910 schließlich, ließ Hermann Gustav Flath einen Geräteschuppen bauen, der heute als Scheune 3 (einige Meter abseits des eigentlichen Hofes) bezeichnet wird.

Marian Bertz























Geschichte des Gutes