Bundesmanöver 1863 im Preßnitztal am 20. Mai 2017
Wolkensteiner Heimat und Anzeigeblatt 07/2017 und 08/2017

Ein Samstagmorgen im Mai am Bahnhof Steinbach: Das Handrad am Wasserkran des Wasserhauses wird quietschend betätigt.
Doch ausnahmsweise werden nicht die Wasservorräte einer Lokomotive ergänzt, sondern Holzeimer gefüllt, welche die Kaffeekannen an den Feuerstellen im Biwak mit Wasser versorgen.
Das ganze Bahnhofsgelände ist nicht wiederzuerkennen. Jedes freie Stück Wiese ist mit Zelten bebaut, dient als Weidefläche für Kavalleriepferde oder musste Feuerstellen weichen. An der Rampe stehen die aufgeprotzten Geschütze schlange und warten auf ihre Verladung. Und zwischen den Gleisen stehen unzählige Holzkisten und anderes militärisches Stückgut. Eine Trommel wird geschlagen und die schnell herbeieilenden Soldaten, formieren sich und erfahren die erste Order des Tages.

Immer voller wird das Bahngelände. Zivilisten ist Gehrock und Zylinder und Frauen mit schönen Kleidern kommen hinzu. Es ist früh am Morgen. Nur wenige neuzeitliche Zuschauer sind schon anwesend. Diejenigen, die da sind, beobachten argwöhnisch das geschäftige Treiben.
Nirgendwo werden Eintrittsgelder kassiert oder etwas verkauft. Es ist eine Veranstaltung von Sachsen für Sachsen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der IG Preßnitztalbahn und der IG Sächsische Jäger 1862 – 66. Der Name der Veranstaltung ist „Truppentransport im Pressnitztal im 19. Jahrhundert“ oder auch „Bundesmanöver 1863“, welche in dieser Form ihre Premiere erlebte. Der deutsche Bund, welcher bis 1866 Bestand hatte, war ein Konstrukt, welches den darin zusammengeschlossenen deutschen Staaten eine bisher nicht dagewesene lange Friedensphase brachte.

Gemeinsame Truppenmanöver wurden jedoch regelmäßig abgehalten. Auch diesmal kamen Kontingente aus Österreich, aus Gebieten des früheren Königreichs Preußen, aus Thüringen und natürlich aus Sachsen.
Die Eisenbahn war bereits integraler Bestandteil des Militärs. Diese effektiv zu nutzen sollte die Hauptaufgabe der beteiligten Truppe an diesem Wochenende sein.
Im Rahmen der 125-Jahr-Feier der Preßnitztalbahn wurde der IK-Zug nach Steinbach gebracht. Diese Zuggarnitur wurde um ca. 1881 eingesetzt. Die 18 Jahre Zeitdifferenz wurden gern in Kauf genommen.
Eine zeitgenössische Regelspurlok, die „Muldenthal“ kann übrigens im Dresdner Verkehrsmuseum bewundert werden.
Aber kommen wir zurück zu diesem besonderen Tag. Es herrscht Manöverstimmung. Die beteiligten Darsteller wurden bereits am Abend vorher in zwei Manövergruppen geteilt. Der Hauptgegner an diesem Tag wurde bereits erkannt: Die Zeit! Die Bewegung des historischen Sonderzugs muss stets an den 4 × am Tag verkehrenden Regelzug angepasst werden. Die sächsischen Jäger marschieren in Richtung Schmalzgrube ab, während die preußischen Geschütze auf den Flachwagen verladen werden.

Nur eine der Manöverparteien wird den Zug nutzen, solange es talaufwärts geht. Allein die Soldaten der Eisenbahnbataillone sind ihm für den ganzen Tag zugewieen.
Während die Jäger nahe des Andreas-Gegentrum-Stollens exerzieren, laden die preußisch-österreichischen Truppen am Bahnhof Schmalzgrube ihr Material ab und bringen die Geschütze in Stellung. Der Sonderzug fährt nach Schmalzgrube zurück um die sächsische Artillerie zu verladen.
Auf dem Rückweg werden am Stollen die sächsischen Jäger aufgenommen. Doch keine Buffetwagen hängen an der kleinen dreiachsigen Dampflokomotive, sondern geschlossene und flache Güterwägen.
Es ist eng in den Wagons, meist gibt es nur Stehplätze. Beißender Qualm zieht durch die Wägen. Doch den Soldaten fällt das durch die Anspannung nicht auf. Nur wenige Eingeweihte wissen, was in den nächsten Minuten geschehen wird.
Nahe des HP Forellenhof wird der Zug durch Artilleriefeuer gestoppt.
Preußische Kavallerie nähert sich dem Zug. Sofort werden Plänkler nach vorn geschickt, um das Formieren der Jäger, die nach und nach vom Zug absitzen und den Bahndamm hinunter strömen, zu sichern.
Kaum beginnt sich die Jägerkompanie zur Schützenkette zu entfalten, tauchen österreichische Plänkler aus ihrer Deckung auf und nehmen die Sachsen unter Feuer, welche dieses jedoch umgehend erwidern die Österreicher vor sich hertreiben. Dieser Abschnitt des Gefechts ist von schnellen Geländegewinnen gekennzeichnet. Auch die preußische Artillerie, die pausenlos vom Ortseingang her ihr Feuer unterhält kann das nicht unterbinden.

Die letzten 200 Meter werden im Sturmmarsch mit aufgepflanztem Bajonett zurückgelegt. Die Geschütze werden von ihren Mannschaften verlassen, die sich schnell in den Ort zurückziehen. Doch damit sind die Aufgaben längst nicht erfüllt.
Während eine Sektion der Sachsen alle strategischen Positionen am Bahnhof und im Ort mit Posten absichert suchen die Jäger der zweiten Sektion den noch besetzen Telegraphen und sichern diesen nach wenigen Minuten. Das Ganze Geschehen wird mittlerweile nicht nur von viele Zuschauern und Vertretern lokaler Medien verfolgt, sondern auch von Manöverbeobachtern, welche Zeiten und Erfolge eifrig notieren. Noch während die Geschütze überrannt wurden, wurde eine Signalrakete abgefeuert, welche dem schon längst außer Sichtweite befindlichem Zug als Zeichen zur Weiterfahrt dient. Dieser setzt sich langsam in Bewegung und fährt in den Bahnhofsbereich ein, der sich seit wenigen Augenblicken unter vollständiger Kontrolle der Sachsen befindet.








Thomas Pechmann
Grenadierbataillon von Spiegel e. V. Wolkenstein,
Sektion 1866

Sofort wird das Geschütz abgeladen und aufgeprotzt einsatzbereit gemacht. Unzählige Holzkisten, die mit Munition und Proviant gefüllt sind, werden abgeladen.
Eine Plane wird auf mehrere Holzstützen gespannt und ein Tisch mit Kartenmaterial und einem Schreibsekretär darunter gestellt – in wenigen Minuten entsteht ein mobiler Kommandostand. Die mit grüner Farbgebung versehene Lokomotive – im Original übrigens in Chemnitz konstruiert und gebaut – fährt langsam aus dem Bahnhofsbereich an eine Stelle nahe des Flüsschens Preßnitz. Alle Soldaten, die gerade keiner Aufgabe zugeordnet sind, folgen der Lok in geschlossener Formation und geführt von einem der Oberjäger. Dampflokomotiven benötigen als Betriebsstoffe Kohle, Wasser und Sand. In der Regel werden diese an Bahnhöfen ergänzt. Ein Wasserkran ist im Bahnhof Schmalzgrube jedoch nicht verfügbar. Doch hier zeigt sich, wie eng die Zusammenarbeit zwischen den Eisenbahnern und dem Militär ist. Die Gewehre der Soldaten sind zu Pyramiden zusammengestellt.
Anstelle der Waffen haben diese Eimer vom Zug geholt (Eimer aus Holz und Leinen) und bilden eine Eimerkette zwischen der Dampflok und dem Fluss. Schnell werden die Wasservorräte aufgefüllt – auch wenn ein leichtes Stöhnen durch die Eimerkette geht, als der Lokführer ruft: „Nur noch 150 Liter, Männer!“

Die Bilder, die hier zu sehen sind, wurden Jahrzehnte nicht mehr beobachtet. Aber hier zeig sich, dass erlebbare Geschichte immer mehr von Einzelattraktionen zu komplexen Symbiosen von Gruppen wird, die ihr Fachgebiet beherrschen und trotzdem das Gesamtbild nicht aus dem Auge verlieren.

Während auf der Südseite des Bahnhofs die Lokomotive bewassert wird, formieren sich auf der anderen Seite die vor wenigen Minuten vertriebenen preußischen Artilleristen mit den verbliebenen Österreichern und nehmen vom anderen Ufer des Flusses aus die sächsischen Doppelposten unter Beschuss. Diese erwidern das Feuer zwar, die Situation wird jedoch erst durch das schnell herangebrachte sächsische Geschütz nachhaltig geklärt.
Damit endet kurz nach dem Mittag das Manöverszenario des Gefechtsfeldes I. Die preußischen Geschütze und Mannschaften werden auf den Zug verladen, welcher in Richtung Jöhstadt davon dampft. Die sächsischen Soldaten nutzen die dringend notwendige Pause zum Essen – oder um einfach auf der nächsten Wiese ein Nickerchen zu machen.
Währenddessen wird im mobilen Kommandostand die Lage des Bahnhofs Jöhstadt bewertet. Nur ein schmaler, felsiger Zufahrtsweg ist vorhanden. Nach kurzer Beratung wird eine geeignete Strategie zur Einnahme des Bahnhofs festgelegt.
Der Sonderzug, der den preußischen Verband nach Jöhstadt gebracht hat, kehrt nach Schmalzgrube zurück. Die sächsische Seite beginnt mit der Verladung, welche nach 15 Minuten komplett abgeschlossen ist. Die letzte Gefechtsfahrt nach Jöhstadt beginnt, endet jedoch bereits am Bahnhof Schlösselmühle.
Der Zeitplan sitzt den Beteiligten unnachgiebig im Nacken. Und die Zeit, die der Eisenbahn zum Rangieren bleibt, ist gering. Der Flachwagen mit dem sächsischen Geschütz soll vor dem Zug hergeschoben werden, um bei Bedarf umgehend in das Gefecht eingreifen zu können, da das Gelände Richtung Jöhstadt keine Möglichkeit zum Vorrücken und zur Unterstützung durch Artillerie bietet. Da das Rangieren recht zeitaufwendig ist, wird die Lok ausgekuppelt und die Jäger selbst beginnen damit, die Güterwagen auf den Gleisen zu verschieben. Recht schnell wird die neue Traktion gebildet. Nur Minuten später – pünktlich um 15:00 Uhr – beginnt der Vorstoß auf Jöhstadt. Bis zur Lokhalle gibt es keine Gegenwehr. Erst dort fallen vereinzelte Schüsse der österreichischen Plänkler. Doch werden diese recht schnell in Richtung Jöhstadt getrieben. Der sächsische Vorstoß endet erst 250 m vor dem Bahnhofsgelände.
Die preußische Artillerie bestreicht mit ihrem Feuer sehr effizient den schmalen Geländeeinschnitt. An den Seiten des Bahndamms begrenzen die Einschläge der Granaten den Vorstoß. Mittels einer Signalrakete wird durch die Sachsen auch hier dem Zug das Vorrücken signalisiert.
Als dieser langsam die Biegung des Gleises passiert und auf Höhe der Jäger hält, ist deren Jubelruf und Hurra nicht zu überhören.
Mit dem Abfeuern des sächsischen Geschützes setzt sich der Zug wieder in Bewegung – flankiert von den sächsischen Jägern. Der Bahnhof Jöhstadt ist nach wenigen Minuten komplett unter Kontrolle.
Auch dieser zweite Abschnitt des Manövers wird komplett nach Plan durchgeführt. Aller Beteiligten haben ihre Aufgaben vollumfänglich zufriedenstellend erfüllt.
Nachdem der letzte Regelzug den Bahnhof verlassen hat, wird der Sonderzug mit dem kompletten Material beider Manöverparteien beladen. Schnell wird klar, dass nicht alle Soldaten in die geschlossenen Güterwägen passen. Also setzen sich viele neben die festverzurrten Geschütze auf die Flachwagen, der Offizier besteigt die Lok.



Die Rückfahrt findet mit reduzierter Geschwindigkeit statt – die Bilder, welche von den unzähligen Fotografen an den Hängen und auf den Wiesen gemacht werden, sind einzigartig. Was hier zu sehen ist, kann nur als das perfekte Bild eines Truppentransports beschrieben werden. Das erste Mal auf der Preßnitztalbahn – aber bestimmt nicht zum letzten Mal.
Auch die Teilnehmer genießen die Rückfahrt. Sie haben erlebt, was nur noch in Büchern nachgelesen werden kann. Das Zusammenspiel mit den Eisenbahnern war reibungslos. Es sind Bilder und Erlebnisse, von denen alle noch lange zehren werden – so wie von dem Wildschwein am Spieß, welches am Abend im Biwak für die Männer zubereitet werden wird.


Thomas Pechmann – Grenadierbataillon
von Spiegel e. V. Wolkenstein,
Sektion 1866
Beiträge des Militärhistorischen Museums im Wolkensteiner Heimat- und Anzeigeblatt 2017